Zwischen großen Chancen und finanziellen Risiken

Sieben Schritte zur Veränderung: Von den mehr als 1,8 Millionen Wohnungen in Berlin sind rund 520.000, also knapp 30 Prozent, vor 1918 fertig gestellt worden, und weitere 16 Prozent vor 1948. Mehr als 150.000 stehen heute leer - eine traurige Bilanz. Hinzu kommen niedrigste Mieten - vergleichbar denen im mecklenburgischen Bad Doberan. Die wichtigsten Gründe sind die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung der Region und die jahrzehntelange Förderung des Mietwohnungsbaus durch den Senat. Gesellschaften und Genossenschaften werden jetzt vom Tropf genommen und sehen sich in ihrer Existenz gefährdetVon den mehr als 1,8 Millionen Wohnungen in Berlin sind rund 520.000, also knapp 30 Prozent, vor 1918 fertig gestellt worden, und weitere 16 Prozent vor 1948. Mehr als 150.000 stehen heute leer - eine traurige Bilanz. Hinzu kommen niedrigste Mieten - vergleichbar denen im mecklenburgischen Bad Doberan. Die wichtigsten Gründe sind die derzeitige wirtschaftliche Entwicklung der Region und die jahrzehntelange Förderung des Mietwohnungsbaus durch den Senat. Gesellschaften und Genossenschaften werden jetzt vom Tropf genommen und sehen sich in ihrer Existenz gefährdet. Gleichzeitig bleiben viele Aufträge für Bauwirtschaft, Handwerk und Dienstleister aus. Was ist in dieser Situation zu tun? Die Sto-Niederlassung Berlin lud im Frühjahr zu einem Forum „Altbausanierung - Chance oder finanzielles Risiko?“ ein, um erstmals interdisziplinär mit Politikern, Wohnungswirtschaftlern, Bauunternehmern und Planern aus Berlin und Brandenburg Wege zur Veränderung zu diskutieren. Unter ihnen Staatssekretär Volkmar Strauch von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen.

Bereits zur Begrüßung betonte Niederlassungsleiter Jürgen Lindner, dass Altbausanierung heute immer im Kontext eines Stadtumbaus gesehen werden muss. Im Vordergrund steht dabei nicht mehr das Einzelobjekt sondern die Lösung für ein Quartier oder einen Straßenzug. Was derzeit unter dem großen Thema Stadtumbau Ost diskutiert wird, greift in einigen Jahren infolge demografischer und wirtschaftlicher Veränderungen auch in den Altbundesländern. Berlin kann jetzt Beispiele für zeitgemäßes Vorgehen liefern, denn sowohl speziell ostdeutsche wie westdeutsche Aufgabenstellungen sind vorhanden. Staatssekretär Strauch hob hervor, dass Altbausanierung sehr facettenreich ist: "Es geht um Kiezkultur und damit um historisches Erbe, um soziale Stabilität und um Urbanität." Strauch machte deutlich, dass heute die „komplette Sanierung“ eines Gebäudes nicht mehr genüge. Demografische Entwicklungen, Wohnbedürfnisse, Haushaltsstrukturen und Einkommen verlangen nach flexiblen Lösungen für Wohnen und Arbeiten. Und die gesellschaftlichen Anforderungen an Ressourcen schonendes lokales Handeln seien gestiegen.


Anreize für Investoren

Johann Behrends von der IHK Berlin stellte für den Weg von einer überregulierten Wohnungswirtschaft in die Marktwirtschaft einen Maßnahmekatalog vor, der auf einen Rückzug des Landes aus der Bestandsförderung orientiert und auf eine Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen zielt. Notwendig sind dazu marktgerechte Mieten, um in attraktiven Lagen die Eigentumsbildung zu unterstützen. Außerdem fordert die IHK eine genehmigungsfreie Änderung des Bestandes, die Einführung von Präklusionsfristen im Baugenehmigungsverfahren und eine Auflösung der Sanierungsgebiete. Angesichts riesiger Leerstände müsse das Verbot zur Zweckentfremdung umgehend aufgehoben werden. Öffentliche Gelder sollten allein in die Verbesserung der Infrastruktur und damit in öffentliche Räume fließen, um ganze Stadtquartiere im Ensemble aufzuwerten. Das würde auch zu Anreizen für private Investoren führen.


Interessante Herausforderungen

Dr. Georg Wagener-Lohse von der Zukunftsagentur Brandenburg mahnte intelligente und nachhaltige Lösungen an, die auch wirkungsvoll zur Minderung des CO2-Ausstoßes beitragen. In der Altbausanierung stecke ein riesiges Potenzial: "Forstwirtschaftler betrachten den Waldbestand mindestens über 100 Jahre. Die Bausubstanz wird sehr selten aus dieser Perspektive bewertet. Wer heute wirtschaftlich handeln will, muss für eine hochwertige Sanierung des Bestandes aber in solchen Zeiträumen denken." Seit Einführung der Energieeinsparverordnung sind dafür integrative Planungen gefordert. In der Praxis würden Architekten und Ingenieure aber wie gewohnt vorgehen und die Übergangsfrist zu wenig zur qualitativen Veränderung ihrer Arbeitsweise nutzen. Dr. Hans-Jürgen Gaudig von der BBP Bauconsulting GmbH unterstrich diesbezüglich, dass die Altbausanierung für Planer viele neue Chancen bringe. "Dazu gehören auch intelligenter Rückbau und sensibel geplanter Abriss, der nicht nur Thema des Plattenbaus ist. Im Bestand kann der Abbruch eines Seitenflügels die Vermietbarkeit des Objekts deutlich erhöhen oder der Rückbau einer Industrieruine die Wohnqualität für ein ganzes Quartier verbessern." Aus der Sicht des Architekten beleuchtete Eckhard Feddersen daran anknüpfend Anforderungen des Denkmalschutzes und neue Ansätze zeitgemäßer Nutzung: "Das Entwurfskonzept darf sich nicht einfach dem Denkmalschutz unterordnen. Beispielsweise müssen behindertengerechte Lösungen oder flexible Nutzungen möglich sein, um Leerstand zu vermeiden oder abzubauen."


Netzwerke entwickeln

In der abschließenden Diskussion erinnerte Jürgen Lüdtke, Geschäftsführer der Gesobau (einer der größten Gesellschaften Berlins) daran, dass Städte wie Bremen oder Bremerhaven vor vielen Jahren mit Erfolg einen Stadtumbau durchgeführt haben. Dazu gehörten die Altbausanierung ebenso wie der Abriss: "Wir brauchen positive Beispiele, um Machbarkeiten zu diskutieren. Die dort gewonnen Erfahrungen müssen jetzt genutzt werden." Außerdem sollten Modelle für private Eigentümer entwickelt werden, falls sie nicht über das nötige Eigenkapital verfügen. Hans-Peter Eger von der DKB Grundbesitzvermittlung GmbH unterstrich zusammenfassend, dass das Land Berlin den Altbaubestand zügig zu Marktpreisen und an den üblichen Mieten orientiert privatisieren müsse, um Investoren und damit Gelder in die Stadt zu holen. Er empfahl u.a. antizyklisches Agieren, freieres Handeln in Liegenschaftsfonds, neue Arten der Verkehrswertermittlung, beispielsweise mit der Discounted Cash Flow-Methode, und die bessere Verzinsung von eigenem Risikokapital. Innovative Wege der Zusammenarbeit von Wirtschaft, Banken und Planern müssen dazu beschritten werden und Arbeit in Netzwerken ist zu entwickeln. Einig waren sich die 170 Teilnehmer, dass die Berliner Sto-Niederlassung dazu einen wirkungsvollen ersten Schritt getan hat. Die Region braucht Visionen und einen konstruktiven Dialog zu diesem Thema; deshalb wird die Arbeit in kleineren Gesprächskreisen fortgeführt. Ein zweites Forum zum interdisziplinären Erfahrungsaustausch ist bereits für 2004 geplant.

- https://www.baumagazin.de/1650